Mit mystica, dem diesjährigen Programmtitel des Bayerischen Landesjugendchores, begibt sich Gerd Guglhör mit seinen Sängerinnen und Sängern auf eine spirituell religiöse und philosophische Sinnsuche. Ausgangspunkt ist die berühmte zehnstimmige Vertonung der lateinischen Sequenz „Stabat mater“ von Domenico Scarlatti. Diesen christlichen Vorstellungen des Mittelalters folgen Sequenzen von Chormusik unterschiedlicher Epochen und Erdteile.
In allen vorgestellten Werken steht dabei immer der Mensch im Mittelpunkt, der in der mystischen Einkehr nach der Offenbarung einer höheren Macht strebt. Die völlige Hingabe des Geistes, Versinken in einen Augenblick, der Welt entrückt werden - unter Ausblendung der Wirklichkeit wird der Zugang zu spirituellen Sphären eröffnet. Dass dies auf so vielfältige Weise musikalisch geschehen kann, zeigt das junge Eliteensemble der Bayerischen Chorakademie. Im vergangenen Jahr erarbeiteten die rund 70 Sängerinnen und Sänger unter der Leitung von Prof. Gerd Guglhör dieses außergewöhnliche Konzertprogramm.
Nach dem barocken Meisterwerk Scarlattis folgt das von Peter Cornelius im Jahr 1871 vertonte Gedicht „Der Tod, das ist die kühle Nacht“ von Heinrich Heine und eröffnet den zweiten Programmteil, dessen Inhalt von Auseinandersetzungen mit der Frage nach spiritueller Ausrichtung und göttlichem Beistand geprägt ist. Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg war eine der wenigen Frauen aus dem Mittelalter, die Erfahrungen mit dem spirituellen Raum der Wüste erleben durfte und in einem Gedicht verarbeitete. Niklas Melcher (*1994), Mitglied des Bayerischen Landesjugendchores vertont diesen Text in seiner Komposition „Du solt minnen das niht“. Das Werk des zeitgenössischen schottischen Komponisten James MacMillan „Data est mihi omnis potestas“ ist durchdrungen von sakralen Elementen aus dem Matthäusevangelium. In „Prayers of Kierkegaard“ vertont Knut Nystedt, einer der großen Meister der skandinavischen Chormusik, Texte des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard, die sich mit der Kommunikation zwischen Mensch und Gott auseinandersetzen. In der zweiten Komposition MacMillans, „O radiant dawn“, wird die lebensspendende Energie eines strahlenden Sonnenaufgangs zum Sinnbild für die unumstößliche Sicherheit der Zuwendung Gottes in Zeiten der Dunkelheit. Der Finne Einojuhani Rautavaara setzt Rilkes Gedicht „Erste Elegie“ voll sensiblen Verständnisses in ein spannungsgeladenes Klangerlebnis um. Zum Ende erklingt „Chorus 193“ von Terry Riley nach einem Gedicht von Jack Kerouac mit dem Titel „Mexico City Blues“. Christliche und buddhistische Motive werden in überraschenden musikalischen Bildern und Rhythmen miteinander fusioniert.